trotz allem – lebendig

Draußen bricht das Leben sich Bahn.
Es ist wie in jedem Frühling, auch wenn sich dieses Jahr vieles so anders anfühlt.
Als wenn der Frühling kein Recht hätte zu sein,
als wenn die Pflanzen nicht austreiben und blühen dürften,
als wenn das Leben nicht lebendig sein dürfte.

Und auch in uns stellt sich die Frage:
dürfen wir einfach leben, wenn unsere Welt alles andere als „in Ordnung“ ist?
Dürfen wir das Leben genießen, können wir uns daran freuen, zu leben, wenn nur ein paar 1000 Kilometer von uns entfernt Menschen auf der Flucht sind, Menschen um ihr Leben kämpfen?
Was ist in dieser Zeit richtig, was ist falsch?

„Irgendwie muss ich weitermachen“, sagte jemand zu mir, „sonst werde ich verrückt“. Genauso fühlt es sich an: ich merke, wie schwer es mir inzwischen fällt, die Nachrichten zu schauen oder zu hören, mir immer wieder neu bewusst zu machen, was da geschieht, was ich kaum denken kann.

Aber ich denke, es macht keinen Sinn, aufzugeben. Vielleicht besteht der einzige Weg, weiterzugehen, darin, die vielen Fragen und Sorgen, das Erleben, dass wir keine Lösung haben, aus der Hand zu geben.

Im christlichen Glauben reden wir davon, alles Gott in die Hand zu geben.
Unsere Fragen, unsere Nöte, unsere Hilflosigkeit, unsere Angst.
Unser Leben, unsere Welt – in Gottes Hand, wie auch wir selber.

Im Bewusstsein, dass wir nicht alles in der Hand haben,
und dass wir auch nicht alles in der Hand haben müssen,
können wir leben.

Genau das, was ist  auch wenn wir es nicht begreifen können.
Wir können unseren Tag, unseren Frühling leben, können aufblühen und Früchte tragen

– trotz allem – lebendig.

Text: Annette Schulze Pastoralreferentin, Klinikseelsorgerin,   Geistliche Mentorin
Bild: Annette SchulzeAlliumblüte