Die Kraft des Wandels

Ein neues Jahr beginnen wir mit einer Perspektive. Da kommt Neues auf uns zu – und wir hoffen, dass es Gutes sein wird. Wir haben Vorsätze, mit denen wir selber etwas zum Guten, zum Besseren beitragen wollen. Ein neues Jahr hat immer auch mit Aufbruch zu tun, selbst wenn wir gar keine konkreten Aufbrüche vor uns haben. Aber in diesem Jahr ist alles anders. In diesem Jahr, das jetzt schon ein paar Wochen alt ist, geht es erst einmal gerade nicht um Aufbruch, sondern um Abstand. Kontaktbeschränkungen bleiben in Kraft und werden noch verschärft. Es gibt kaum eine Gelegenheit, schwungvoll durchzustarten, wir werden ausgebremst – durch die Situation der Pandemie, die das Herunterfahren notwendig macht.
Was uns in all den Zahlen und Sorgen um Ansteckung, Erkrankung und Virenentwicklung verloren geht, vielleicht schon verloren gegangen ist, das ist die Hoffnung. Wir können kaum noch glauben, dass ein „normales“ Leben wieder möglich sein wird. Wir können uns nicht mehr vorstellen, einfach so mit anderen zu feiern, zu singen oder unterwegs zu sein. Und wir können dem Virus und seinen Wirkungen keinen Sinn abgewinnen.
Unsere Hoffnung hat einen Schlag abbekommen – und wir haben zu wenige Begegnungen, um neue Hoffnung miteinander zu teilen. Dafür braucht es mehr als den Austausch über Hygienepläne und Impftermine – Hoffnung braucht Momente des Innehaltens und Wahrnehmens.
Hoffnung braucht eine neue Perspektive, eine neue Ausrichtung.
Alleine können wir die Hoffnung nicht lebendig halten – aber wir können es miteinander. Wenn wir in einem kurzen Moment wahrnehmen, dass auch die Natur im Rhythmus von Ruhe und Wachstum lebt, kann das unsere Perspektive verändern – und vielleicht auch die Perspektive von Menschen, die wir daran teilhaben lassen.
Dann bekommt die Hoffnung ein Gesicht und neue Kraft.
Die Amaryllis auf unserer Fensterbank hat eine Knospe gebildet. Kurz vor dem ersten Frost haben wir noch überlegt, sie wegzuwerfen, weil sie so jämmerlich aussah – dann durfte sie doch nochmal mit ins Warme, und jetzt zeigt sie uns, dass aus dem scheinbar jämmerlichen Leben etwas Neues entstehen kann.
„Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen“, so heißt es im biblischen Buch des Propheten Jesaja. Darin wird die Perspektive der Hoffnung spürbar. Aus dem, was für uns nicht vorstellbar ist, kann doch etwas wachsen und werden. Aus der Zeit der Einsamkeit und Sorge heraus können wir diese Sichtweise miteinander teilen – uns miteinander freuen am Wachsen der Blüte – und miteinander hoffen, auch wenn manches dagegen spricht.
Wir können unserer Hoffnung ein Gesicht geben – indem wir einander von ihr erzählen – vom Wachsen und Werden, von der Kraft, die einen Wandel zustande bringt, und von der Kraft, die aus dem Wandel neu entsteht – und von den kleinen Dingen, die uns in Erinnerung rufen, dass wir lebendig sind… auch und gerade in dieser Zeit.

Text und Bild: Annette SchulzePastoralreferentin,Klinikseelsorgerin,   Geistliche Mentorin