Mit Gott in einem Boot?

Autorin: Annette Schulze

Das Foto einer Krippe aus Peru habe ich entdeckt – gerade in diesem Jahr hat es mich besonders angerührt: Josef und Maria sitzen mit Jesus in einem Boot. Ein wenig Proviant ist mit an Bord, auch ein Schafbock, ein Schaf und ein Lämmchen. Es ist für uns ein ungewohntes Bild, eine andere Perspektive auf Weihnachten.

Die Krippe im Boot erinnert an die vielen Menschen, die in überfüllten Booten auf der Fahrt übers Mittelmeer den Frieden und das Leben suchten und den Tod fanden. Menschen sind auf der Flucht – damals flohen Maria und Josef, um ihr Kind vor König Herodes in Sicherheit zu bringen. Und auch heute müssen Menschen ihre Heimat verlassen, um eine Chance zum Überleben zu bekommen. Bei all dem, was Menschen erleben müssen, stellt sich die Frage, ob Gott mit ihnen, mit uns im Boot sitzt. Wir spüren in all den Fragen und Nöten unserer Welt nicht besonders viel von seiner Gegenwart – nicht viel Tröstendes, Wärmendes, Mut- Machendes.

Und doch macht sich Gott auf den Weg – mit uns und zu uns. Das ist die Botschaft der Heiligen Nacht. Während alle unterwegs sind, Hirten bei der Arbeit auf dem Feld, einfache Leute auf der Suche nach einer Herberge und Steuerzahler auf dem Weg zur Volkszählung, macht auch Gott sich auf den Weg und legt sich als Kind in einen Futtertrog, zwischen Ochs und Esel und Schafe. Ganz unten kommt er an, wo auch die einfachen Leute zu Hause sind. Dort will Gott sich finden lassen.

Wo immer Menschen am Boden sind, angeschlagen, traurig, schwach oder bedroht, krank und sterbend, da ist Gott solidarisch mit ihnen. Wo wir den Boden unter den Füßen verlieren – wie in einem Boot, das den Wellen kaum standhalten kann, da ist uns Gott nahe. Gerade dann, wenn wir es nicht vermuten. Das ist kein billiger Trost, sondern ein Versprechen, und wir können es wahrmachen, wenn wir den Blick auf die Menschen lenken, die mit uns im Boot sitzen. Menschen, die Trost brauchen, ein bisschen Herzenswärme oder ein Mut machendes Wort.

Vielleicht ist das die Botschaft von Weihnachten in diesem Jahr: Es geht nicht nur darum, bei der Krippe anzukommen und das Kind anzubeten – es geht vielmehr darum, diesem Kind in den Menschen unserer Zeit zu begegnen. Diesem Gott in die Augen zu sehen, der hinter uns im Supermarkt steht, neben uns ihr Baby stillt, mit uns in einem Boot sitzt, damit wir nicht verloren gehen.

Text: Annette Schulze (Klinikseelsorge BG Unfallklinik Ludwigshafen)
Foto: Dr. Siegfried Bergler